BELARUS NEWS AND ANALYSIS

DATE:

02.11.2005

Sturz des "letzten Diktators" schon vertagt?

Knut Mellenthin

Die innenpolitische Opposition gegen den belarussischen Prasidenten Lukaschenko bietet gegenwartig ein Bild der Zerrissenheit. Westliche Regierungen setzen unterdessen weiterhin auf eine Destabilisierung des Landes

>Letzter Diktator Europas< nennen ihn seine Feinde, von der FAZ bis zur US-Au?enministerin Condoleezza Rice. Noch vor einem Jahr galt es als ausgemachte Sache, da? der belarussische Prasident Alexander Lukaschenko spatestens bei der 2006 anstehenden nachsten Wahl zur Strecke gebracht werden sollte. Inzwischen sieht es aber eher so aus, als wurde auch dieser Umsturzversuch westlicher Kreise ebenso ein Schlag ins Wasser wie die Prasidentenwahl 2001. Damals hatten die USA und europaische Staaten insgesamt 40 bis 50 Millionen Euro in die belarussische Opposition gepumpt, um ihr zum Sieg oder wenigstens zu einem achtbaren Ergebnis zu verhelfen. Am Ende lag Lukaschenko mit 75,6 Prozent vor seinem Herausforderer Wladimir Gontscharik, fur den 15,4 Prozent gestimmt hatten. Da? dieses Ergebnis der politischen Wirklichkeit des Landes entsprach, wurde auch von westlichen Beobachtern nicht angezweifelt. Dem damals als Einheitskandidat der Opposition aufgestellten fruheren Gewerkschaftsfuhrer und Parteisekretar Gontscharik hatten nationalistische und konservative Krafte seine einstige Nahe zur Sowjetmacht angekreidet und ihn deshalb nicht unterstutzt.

Auch 2006 will die zersplitterte und zerstrittene belarussische Opposition mit einem gemeinsamen Kandidaten antreten. Darauf drangen nicht zuletzt die westlichen Geldgeber, an deren Tropf die Oppositionsparteien und sonstigen >unabhangigen Krafte< hangen. Derzeit sieht es aber ganz danach aus, als wurde der Versuch noch schlechter ausgehen als funf Jahre zuvor.

Der Unbekannteste gewinnt

Anfang Oktober wurde auf einem >Kongre? der Demokratischen Krafte< in der Hauptstadt Minsk mit au?erst knapper Mehrheit der 58jahrige Physiker Alexander Milinkewitsch zum Bewerber der Opposition gekurt. Er soll im kommenden Jahr als Herausforderer gegen Lukaschenko zur Prasidentenwahl antreten, die voraussichtlich im Juli stattfinden wird. Einziger Gegenkandidat wird er wohl nicht bleiben, da einige Oppositionskrafte, darunter die gro?te der drei rivalisierenden sozialdemokratischen Parteien, dem Kongre? ferngeblieben waren. Lukaschenko hohnte bereits, es wurde wohl noch ein ganzes Dutzend weitere >gemeinsame Kandidaten< ins Spiel kommen. Insider in Minsk und Moskau mutma?en, da? der clevere belarussische Prasident das Seine tun wird, um diese Prognose in Erfullung gehen zu lassen.

Schon da? Lukaschenko den Oppositionskongre? ungestort in Minsk stattfinden lie? und dafur sogar staatseigene Raume zur Verfugung stellte, werteten Beobachter als klugen Schachzug - und als Zeichen dafur, da? der Prasident sich mit Blick auf die nachste Wahl keine Sorgen macht. Im Vorfeld war spekuliert worden, die Opposition werde vielleicht nach Wilna, in die Hauptstadt des benachbarten Litauens, ausweichen mussen, was dem Treffen eine verstarkte internationale Aufmerksamkeit gebracht hatte.

Auf dem >Kongre? der Demokratischen Krafte< waren nach Angaben der Veranstalter zehn gro?ere Parteien und einige Dutzend kleinerer >unabhangiger< Gruppen vertreten. Insgesamt waren uber 800 >Delegierte< erschienen. Unklar blieb jedoch, nach welchem Schlussel sie ausgewahlt worden waren: Uber die zahlenma?ige Starke der einzelnen Oppositionsparteien gibt es allenfalls Schatzungen.

Zunachst standen vier Bewerber fur die Position des gemeinsamen Oppositionskandidaten zur Auswahl: Sergej Kaliakin, der Vorsitzende der Partei der Kommunisten von Belarus; Anatol Lebedko, der Vorsitzende der wirtschaftsliberalen Vereinigten Burgerpartei; Alexander Milinkewitsch, dessen Kandidatur von der nationalistischen Volksfront vorgeschlagen und von den Grunen unterstutzt wurde; Stanislaw Schuschkiewitsch, Vorsitzender einer der zerstrittenen sozialdemokratischen Parteien.

Schuschkiewitsch zog seine Kandidatur jedoch zuruck, so da? nur noch drei Bewerber zum ersten Wahlgang antraten. Danach lag Milinkewitsch mit 383 Stimmen vor Lebedko (263 Stimmen) und Kaliakin (152 Stimmen). Den zweiten Wahlgang gewann Milinkewitsch mit nur acht Stimmen Vorsprung, 399 gegen 391. Die Anhanger Kaliakins hatten offenbar im zweiten Wahlgang fast geschlossen fur Lebedko gestimmt.

Gespaltene Opposition

Das denkbar knappe Ergebnis zeigt, wie sehr die belarussische Opposition gespalten ist. Die Volksfront, als deren Kandidat Milinkewitsch ins Rennen ging, ist konservativ und versucht vor allem, mit Feindseligkeit gegen Ru?land und Betonung der sprachlichen und kulturellen Eigenstandigkeit des Landes Punkte zu machen. Da sich der gro?te Teil der Belarussen selbst als Russen sieht und Russisch als Sprache sehr viel verbreiteter ist als Belarussisch, hat der Nationalismus der Volksfront keine gro?en Chancen. Die Anhanger von Lebedkos Burgerpartei (UCP) spotten uber die >romantischen Nationalradikalen<. Die UCP arbeitet eng mit der russischen Union der Rechten Krafte zusammen, die sich fur einen neoliberalen, entfesselten Kapitalismus einsetzt. Die UCP wird auch von russischen Unternehmern gefordert, die sich davon bessere Einwirkungsmoglichkeiten auf die belarussische Wirtschaft versprechen.

Vor dem >Kongre? der Demokratischen Krafte< war Lebedko allgemein als klarer Favorit fur die Position des gemeinsamen Kandidaten gesehen worden. Entsprechend enttauscht reagierten seine Anhanger auf den Ausgang der Wahl. Der Arger war so gro?, da? Lebedko sich sogar genotigt sah, seinen Rucktritt vom Amt des Parteivorsitzenden anzubieten oder anzudrohen, um seinen Laden wieder unter Kontrolle zu bekommen. Auch die Sozialdemokraten von Schuschkiewitsch und die Anhanger der Partei der Kommunisten werden sich mit dem gemeinsamen Kandidaten Milinkewitsch wahrscheinlich schwertun.

Zwei Oppositionspolitiker, die als Gaste auf dem Kongre? sprachen und das Auswahlverfahren scharf kritisierten, haben bereits ihre Absicht angemeldet, ebenfalls zur Prasidentenwahl im nachsten Jahr anzutreten: Alexander Kosulin, der Vorsitzende der BSDP-NG, der gro?ten der rivalisierenden sozialdemokratischen Parteien, die sich an dem Kongre? nicht beteiligte, und Wladimir Kolas, der Vorsitzende des Rates der belarussischen Intelligenz. Kosulin, ehemaliger Rektor der Staatsuniversitat des Landes, reprasentiert zugleich das Bundnis >Europaische Koalition Freies Belarus<, das schon vor Monaten einen Wahlkampf im Zeichen der Kornblume angekundigt hatte. Westliche Journalisten sprachen deshalb vollmundig von einer bevorstehenden >Kornblumen-Revolution<. Das hinter Milinkewitsch stehende Oppositionsbundnis hat jetzt als Symbol einen roten Baum auf wei?em Grund gewahlt.

Die westlichen Sponsoren, von deren Unterstutzung letztlich die gesamte belarussische Opposition abhangt, werden voraussichtlich auf eine Einigung mit der BSDP-NG und ihren Bundnispartnern drangen. Da? diese dazu gebracht werden konnen, nachtraglich die Kandidatur von Milinkewitsch mitzutragen, der innerhalb seines eigenen Parteienbundnisses sehr umstritten ist, erscheint eher unwahrscheinlich. Es ware deshalb nicht verwunderlich, wenn am Ende Anatol Lebedko doch noch als Kompromi?kandidat wieder ins Spiel kame oder ein ganz anderer gemeinsamer Bewerber prasentiert wurde.

Karten neu mischen?

Dafur, die Karten noch einmal neu zu mischen, spricht auch: Der Physikprofessor Milinkewitsch ist nicht nur im Ausland, sondern auch in Belarus weitgehend unbekannt. Er gehort keiner Partei an, auch wenn er seit 1996 in der Opposition aktiv ist. Bei der Prasidentenwahl 2001 war er Chef des Teams von Semijon Domasch, der aber schlie?lich zugunsten des Gewerkschaftsfuhrers Wladimir Gontscharik auf eine Kandidatur verzichtete. Milinkewitsch hat, was in manchen westlichen Kreisen gewi? eine wichtige Empfehlung darstellt, in den USA studiert. Daruber hinaus hat er, fur einen Physiker etwas abseits seines Fachgebiets, das deutsch-amerikanische George C. Marshall European Center for Security Studies in Garmisch-Partenkirchen, eine Militarhochschule und mutma?liche Agentenzentrale, besucht. Er spricht, auch das la?t ihn auf den ersten Blick als Wunschkandidaten des Westens erscheinen, neben Russisch und Belarussisch auch Englisch und Franzosisch.

Um die internen Differenzen und personellen Eifersuchteleien zu glatten, hat das Milinkewitsch unterstutzende Bundnis kurz nach seinem Kongre? einen >Politischen Rat< gebildet und als erstes Posten fur die unterlegenen Konkurrenzkandidaten geschaffen. Anatol Lebedko wird Chef eines >Nationalkomitees der demokratischen Krafte<, das eine Art >Schattenkabinett<, neudeutsch auch gern >Kompetenzteam< genannt, darstellen soll. Der KP-Vorsitzende Sergej Kaliakin soll Wahlkampfleiter von Milinkewitsch werden.

Positionen im >Schattenkabinett< sollen potentielle Oppositionskandidaten dazu bringen, zugunsten des gemeinsamen Kandidaten zu verzichten. Das Bundnis hofft, dadurch vielleicht sogar Alexander Kosulin und seine BSDP-NG einbinden zu konnen. Da aber selbst Milinkewitsch von vornherein die Einschatzung vermittelt, da? er gegen Lukaschenko nicht die allergeringste Chance hat, steht bereits jetzt fest, da? das >Schattenkabinett< nur eine irrelevante Spielwiese sein kann. Daher ist sehr fraglich, ob Kosulin wirklich auf diesen Leim gehen wird.

Der Westen erwartet inzwischen offenbar von der Wahlkampagne 2006 keinen Umsturzversuch mehr, sondern lediglich ein propagandistisches Stormanover - nicht nur gegen Belarus, sondern auch und vielleicht vor allem gegen Ru?land. Die New York Times formulierte es am 18. Oktober in einem Bericht aus Minsk so: >Wenige hier oder im Ausland glauben, da? die eingekesselte belarussische Opposition die Wahl gewinnen kann. Aber mit amerikanischer und europaischer Hilfe kann aus ihrem Einsatz ein neuer Kampf um Demokratie in der ehemaligen Sowjetunion werden. Das wird wahrscheinlich Spannungen nicht nur mit der Regierung Lukaschenkos, sondern auch mit der von Ru?lands Prasident Putin, die sich den westlichen Bemuhungen um eine Demokratisierung fruherer Sowjetrepubliken widersetzt, fuhren.<

Deutsche Duftmarke

Seit dem 3. Oktober versucht der aus dem Staatshaushalt finanzierte Sender Deutsche Welle, >der unterdruckten belarussischen Zivilgesellschaft eine Stimme zu geben<, wie es Intendant Erik Bettermann nennt. Ein klares politisches Programm, sollte man meinen. Die fur die Ausstrahlungen nach Belarus zustandige Leiterin der Ru?land-Abteilung des Senders, Cornelia Rabitz, behauptet trotzdem, es gehe nur darum, >frei und unabhangig Informationen zu verbreiten<. Da? russische Politiker in diesen Sendungen ein >Mittel aus dem Arsenal des Kalten Krieges< sehen, zeige, so Rabitz, Moskaus Furcht, >da? die fur Wei?ru?land produzierten Sendungen der Deutschen Welle auch in Ru?land gehort werden, wo die Medien vom Kreml gegangelt werden<.

Tatsachlich ist die in Deutschland produzierte >Stimme der belarussischen Zivilgesellschaft< nur jeweils 15 Minuten an funf Wochentagen zu horen. Die Sendungen machen beflissene, nicht sonderlich informative Werbung fur die Opposition. Die Geldmittel fur dieses Programm bekommt die Deutsche Welle von der Europaischen Union. Dafur stehen vorlaufig 138000 Euro zur Verfugung. Insgesamt will die EU in den kommenden Monaten nach eigenen offiziellen Angaben zwei Millionen Euro fur Propagandasendungen nach Belarus ausgeben.

Das ist sehr viel weniger, als der fruhere Chef des Bundesnachrichtendienstes, Hans-Georg Wieck, im Januar in einem Strategiepapier fur die intensiv mit der Wuhltatigkeit in Osteuropa befa?te Bertelsmann-Stiftung gefordert hatte. Wieck schlug vor, einen starken Mittelwellensender in einem der Nachbarlander von Belarus, in Polen oder Litauen, aufzubauen. Dieser Sender sollte mit jahrlich funf Millionen Euro ausgestattet werden. Daruber hinaus musse, so Wieck, >der Versuch unternommen werden, russische Fernsehanstalten gegen Bezahlung dazu zu bringen, in ihre Belarus-Sendungen auch Programme der belarussischen politischen und sozialen Opposition zu ubernehmen, die au?erhalb von Belarus hergestellt werden<. Dafur sollten ebenfalls funf Millionen Euro bereitgestellt werden. Insgesamt kalkulierte Wieck die Kosten der Propagandama?nahmen mit 14,2 Millionen Euro jahrlich. Das ware ungefahr doppelt so viel wie die offiziellen Ausgaben der US-Regierung zur Unterstutzung der belarussischen Opposition. Der tatsachliche Finanzansatz der EU ist von Wiecks Forderungen jedoch weit entfernt.

Verglichen mit dem seit Jahrzehnten bestehenden US-amerikanischen Propagandasender Radio Free Europe/Radio Liberty, der mehrere hundert Millionen Dollar jahrlich zur Verfugung hat, stellt die 15-Minuten-Sendung der Deutschen Welle freilich nur einen klaglichen Versuch dar, eine eigene deutsche Duftmarke zu setzen und das grundsatzliche Interesse der Gro?macht Deutschland an Belarus zu verdeutlichen. Immerhin ist Deutschland nach Ru?land der wichtigste Handelspartner von Belarus. Auch bei den Auslandsinvestitionen liegt Deutschland mit einem Anteil von rund 15 Prozent an zweiter Stelle.

Vereinigung mit Ru?land?

Zur Zeit wird wieder einmal uber ein engeres Zusammengehen zwischen Belarus und Ru?land gesprochen. Ist das fur den Westen eher ein Alptraum oder eine mehr oder weniger begru?enswerte Alternative zum vorerst unrealistisch scheinenden Sturz von Lukaschenko? Nach Angaben von Pawel Borodin, der als Staatssekretar einer weitgehend fiktiven >Union< der beiden Staaten fungiert, konnte im Oktober oder November nachsten Jahres - also wenige Monate nach der Prasidentenwahl in Belarus - ein Referendum uber eine gemeinsame Verfassungsakte stattfinden.

Falls dieses Referendum in beiden Staaten erfolgreich ausginge, mu?ten anschlie?end Wahlen zu einem Unionsparlament ausgeschrieben werden, das eine gemeinsame Regierung (Staatsrat) wahlen wurde. Spater konne es auch einen Unionsprasidenten geben.

Borodin kundigte an, da? schon Ende November uber den von Experten beider Seiten ausgearbeiteten Entwurf der Unionsverfassung diskutiert werden soll. Thema werde dann auch die Einfuhrung einer gemeinsamen Wahrung sein. Das Fehlen einer solchen Wahrung hemme derzeit viele Investitionsprogramme, kritisierte Borodin. Daher musse dieses Problem schnellstens gelost werden. Eine Entscheidung daruber konne noch in diesem Jahr fallen.

Das hort sich jedoch sehr viel konkreter an, als es in der Realitat wohl ist. Schon am 2. April 1996 hatten Belarus und Ru?land, damals noch vertreten durch Prasident Boris Jelzin, den ersten Vertrag uber die Bildung einer Russisch-Belarussischen Gemeinschaft unterzeichnet. Es folgte am 8. Dezember 1999 der Vertrag uber die Grundung der Russisch-Belarussischen Union. Ru?lands Prasident Wladimir Putin hat mehrfach versucht, den Vereinigungsproze?, insbesondere auch das Projekt einer gemeinsamen Wahrung, voranzutreiben und zu beschleunigen. Alexander Lukaschenko reagierte darauf jedes Mal deutlich ablehnend.

Vom realen Krafteverhaltnis her ist klar, da? es sich im wesentlichen um eine Angliederung von Belarus an Ru?land handeln wurde. Minsk mu?te also, etwa in der Finanz- und Wirtschaftspolitik, die fuhrende Rolle Moskaus akzeptieren. Fur Prasident Lukaschenko kommt aber nur eine Foderation zweier gleichberechtigter Staaten in Frage. Es mu?te ihm innenpolitisch das Wasser schon bis zum Hals stehen, um ihm eine Vereinigung zu den Bedingungen Moskaus schmackhaft zu machen. Und danach sieht es zur Zeit nicht aus.

Source:

http://www.jungewelt.de/2005/11-02/003.php

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