BELARUS NEWS AND ANALYSIS

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Die Opposition der freien Vogel

Spurensuche in Wei?russland: Prasident Alexander Lukaschenko drangt die Kultur seines Landes dahin zuruck, wo sie schon in der Sowjetunion war - in ein Paralleluniversum. Die Untergrundszene aber wirkt langst als Turoffner fur demokratische Werte

VON INGO PETZ

Kuhler Marmor, flackerndes Neonlicht, dunkle Gange. Niemand lachelt, bis auf die wenigen, die ihre Liebsten begru?en. Der Reisende fuhlt sich in diesen Tagen am Minsker Flughafen nicht willkommen. Der sozialistische Bau in der Nahe der Hauptstadt wirkt merkwurdig leblos, ja tot. Als aufgeklarter Westler mag man das gern als Metapher sehen, denn Wei?russland ist ein Land, dessen Prasident Alexander Lukaschenko man gern dahin wunscht, wo der Pfeffer wachst. Zwischen den weiten Prospekten Minsks und den drogen Plattenbau-Armeen, wo die Menschen wie mude, verangstigte Winzlinge wirken, die das Leben verlassen hat, halt sich das Gefuhl der Leblosigkeit - aber nur so lange, bis man an der Oberflache kratzt.

Dann stellt man fest, dass dieses Land lebt, dass seine Menschen vibrieren vor Leidenschaft. Wie Slawamir Adamowitsch. Adamowitsch ist ein kleiner, stammiger Mann. 1962 geboren, ist er einer der popularsten Dichter Wei?russlands. Er gehort zu der jungen Dichtergeneration, die von der "Wiedergeburt" der wei?russischen Kultur seit 1985 nicht nur profitierten, sondern sie gestalteten. Adamowitsch ist ein Mann der Provokation. 1997 nahte er sich aus Protest gegen die zunehmenden Repressionen Lukaschenkos den Mund zu. Es ist eines der Bilder, die von dem Wei?russland der spaten Neunziger haften bleiben werden. 1999 landete er im Gefangnis, wegen seines Gedichts "Totet den Prasidenten". Niedergeschlagen von der Mutlosigkeit und Feigheit seiner Landsleute, wie er in einem Interview verkundete, verlie? er sein Land und lebt heute in Norwegen. Aber nicht glucklicher, wie er mal schrieb.

Dieser Adamowitsch steht stellvertretend fur die wei?russische Kultur, die unter Lukaschenko wieder dorthin gedrangt wurde, wo sie bereits in der Sowjetunion war - in ein Paralleluniversum. Dort, so kann man auch konstatieren, wenn man noch tiefer kratzt, fuhlt sie sich aber auch wohl, weil die wei?russische Kultur auch eine Kultur der Behauptung ist.

Lukaschenko hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er Puschkin fur gro? und die wei?russische Kultur fur armlich halt. In seiner restaurativen Sowjetisierungspolitik darf das Wei?russische zwar existieren, aber nur als museales Folklorestuck. Fur den postnationalen Europaer mag dies komisch klingen, aber Wei?russland ist ein Land, das unter den Lasten der Russifizierung und Sowjetisierung nicht nach seinen Wurzeln suchen darf, wenn es nach dem Willen Lukaschenkos ginge. Er hat Angst vor einem selbstbewussten Wei?russland.

Seit seiner Wahl hat die Sprache langst nicht mehr dieselben Rechte wie das Russische. 2003 wurde das letzte wei?russischsprachige Lyzeum in Minsk geschlossen und ging in die Illegalitat. Die wei?russische Opposition, die sich gerade der Bewahrung ihrer Kultur verschrieben hat, diskreditiert er als Nazis. Denn Nationalisten hatten unter der Nazi-Herrschaft seit 1941 mit den Deutschen kollaboriert. Aus deutschem Blickwinkel mag die Suche nach dem Nationalen befremdlich sein, aber in Wei?russland ist sie kein nationalistisches Schauerstuck, sie geht einher mit dem Kampf um demokratische und freiheitliche Ideale.

Damit und mit seiner damaligen oppositionellen Stellung in der Sowjetunion hat alles Wei?russische ein hoch politisches Stigma erhalten, das die breite Masse davon abhalt, daran zu partizipieren. "Aus Angst", sagt Adamowitsch. "Wei?russisch bedeutet Opposition. Und die Zugehorigkeit macht das Leben schwierig." Gro?e Schriftsteller wie Wassil Bykau, Ales Rasanau oder Swetlana Aleksijewitsch hatten Wei?russland schon fruh verlassen, auch aus Angst vor dem Gefangnis. Bykau, die moralische Stimme der Wei?russen, war erst nach seinem Tod 2003 zuruckgekehrt. Sein Begrabnis wurde eine der gro?ten Demonstrationen fur die wei?russische Kultur und fur einen Mann, der sein ganzes Leben lang fur kunstlerische Freiheit kampfen musste. Zehntausende begleiteten seinen Sarg.

Fur die Kultur bedeutet diese schwere Stellung, dass sie sich Wege suchen muss, um zu uberleben und zu wachsen - au?erhalb der staatlich verordneten Gesellschaft, in der Lukaschenko eine Ruckkehr zu sowjetischen Ritualen predigt. Die offiziellen Buhnen und Medien sind der wei?russischen Kultur versperrt. Freie Blatter werden verboten, unter neuem Namen wieder gegrundet, wieder verboten, wieder gegrundet. "Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel", sagt Sjarhej Sacharau, Chefredakteur einer bekannten Studentenzeitschrift. "Wie oft musste ich mir anhoren, dass es unsittlich sei, was wir in unserem Blatt machen." Er hat einen eigenen Weg, neben der direkten politischen Konfrontation gefunden, um Kritik zu thematisieren.

"Wenn dir von Politikern gesagt wird, mit wem man schlechten Sex hat, mit wem man guten Sex hat, dann ist jeglicher kritischer Ausfall gegenuber dieser missionarischen Haltung eine Aktion des Protests. Und das ist naturlich cool - das Nutzliche mit dem Angenehmen zu verbinden: Sex zu haben mit wem und wie man will, wissend, dass du damit gegen die Politik Lukaschenkos vorgehst. Wir nennen das deshalb: Revolution 69!" Nicht alle sind so kreativ. Fur andere ist der Kampf der Kultur ein frustrierender, zermurbender - wie fur den hoch begabten Dichter Anatoli Syz. Irgendwann beschloss er, sich zu Tode zu trinken. Vor ein paar Wochen hat er dieses Ziel erreicht.

Unter derart harschen Bedingungen ist eine Existenz als Kunstler in Wei?russland kaum moglich. Dennoch ist die Szene uberraschend aktiv und lebendig. Das gilt besonders fur die Literatur und die Musik. Es ist die wei?russische Rockmusik, die seit 1995 einen gewaltigen Sprung gemacht hat. Sie ist heute so gro?, dass sie nicht mehr totzukriegen ist. Fur die Jugend ist sie zum Toroffner nicht nur zur wei?russischen Sprache geworden, sondern auch zu demokratischen Werten. Und das alles, obwohl das Regime seit 1998 immer wieder Konzerte verboten und Clubs geschlossen hat.

Ljawon Wolski ist der Protagonist der Szene, niemand sonst fangt Stimmungen und den Zeitgeist so genau und wortgewaltig ein wie der 40-Jahrige und seine Band N.R.M. Die Band versteht sich als "Staat im Staate", sie wird im Falle eines politischen Umbruchs die Band der Stunde sein. Die aktuelle Hymne hei?t "Meine Generation". Sie besingt das Dilemma, in der sich die Jugend unter Lukaschenko befindet: "Wir sind freie Vogel. Es ist Zeit, Bruder. Es ist Zeit, mit den ermudeten Flugeln entweder in die Holle oder ins Paradies zu fliegen." Wolski, dessen Vater schon ein Dissident zu Sowjetzeiten war, ist ein Mann mit wachen Augen und einer durchdringenden Stimme. Seine Konzerte sind voller Energie. Weil sie, so sagt Wolski, wie ein "Schrei nach Freiheit" seien. "Und das ist jawohl etwas ernsthafter als der Kampf gegen McDonald's." N.R.M. hat seit vergangenem Jahr Auftrittsverbot, weil die Band im Zuge der Parlamentswahlen an einem Konzert der Opposition teilgenommen hatte. Und obwohl seit Januar 75 Prozent wei?russische Musik gespielt werden soll, sind N.R.M. wie viele andere kritische Bands nicht dabei. "Ich habe noch viele andere Projekte, mit denen ich auftreten kann." Warum verlasst er Wei?russland nicht? "Wenn wir weggehen, werden sich viele tausende in Wei?russland von ihren Positionen abkehren und von ihren Idealen. Das konnen wir nicht wollen."

Wie lebendig die wei?russische Kultur ist, erfahrt man auch bei Veranstaltungen wie denen im "Haus der Literaten" in Minsk. Es sind eigentlich unmogliche Ereignisse, weil sie nur in der kleinen, freien Presse angekundigt und ansonsten totgeschwiegen werden. Im Vorraum werden Bucher, CDs und Zeitschriften verkauft, die in den staatlichen Kiosken und Buchhandlungen langst nicht mehr angeboten werden durfen. "Wenn jemand etwas haben will", sagt ein Verkaufer, "dann findet er es auch. Vorausgesetzt, er kennt sich bei uns aus. Denn wir konnen ja keine gro?e Werbung machen. Das meiste lauft uber Mundpropaganda. Wir haben eine gewisse Routine darin, unsere Kultur im Untergrund zu vertreiben. Wir Wei?russen hatten in unserer Geschichte schlie?lich immer andere Besatzer, die nicht viel von uns hielten."

Man erfahrt hier, dass das Netzwerk fur die Kulturinteressierten sehr gut funktioniert. Rund 600 Wei?russen haben sich in dem Theater versammelt, vor allem Jugendliche. Vor dem Haus stehen weitere 300. Viele halten ihr Handy ans Ohr, um mitzuhoren, was sie drinnen sagen. Im Saal stehen sie an den Randern, sitzen auf der Buhne. Man konnte nun eine schwer seiernde Veranstaltung des gehobenen Ernstes erwarten - mit Stirnfalten und tief bedruckten Stimmen. Stattdessen ist sie leicht, selbst schwergewichtige Intellektuelle wie Andrej Skurko sind selbstironisch.

Junge Autorinnen wie Werena Burlak schleudern allerdings ihre Gedichte ins Publikum, als seien sie Bomben gegen den unsichtbaren Feind, dessen kulturelle Seifenblase sie hier abfallig "Lukaschismus" nennen. Andrej Chadanowitsch, Star der jungen Dichterszene, ruft: "Ich habe Mandarinen verteilen lassen. In der Ukraine gab es Orangen zur Revolution, bei uns Mandarinen. Wir sind ja auch ein kleineres Land." Ein Besucher sagt: "Dieser Attraktivitat hat Lukaschenko nichts entgegenzusetzen. Weil das hier lebt. Das ist die Zukunft von Wei?russland."

Die Zeitschrift Nascha Niwa organisiert jedes Jahr solch eine Lesestunde ihrer Autoren, die dann auch durchs Land reisen. Sie ist ein bisschen wie ein Family-Happening, ein kampflustiges. Das Publikum feiert die Autoren wie Popstars, es wird geklatscht. Viele schwenken die seit 1995 verbotenen rot-wei?-roten Flagge. "Wenn uns das System verbietet, gehen wir eben in den Untergrund", ruft der Art-Direktor Sjarhej Sacharejski. "Wir sind nicht totzukriegen."

taz Nr. 7689 vom 14.6.2005, Seite 15, 333 Zeilen (TAZ-Bericht), INGO PETZ

Source:

http://www.taz.de/pt/2005/06/14/a0191.nf/text


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